Die Pferdeköpfe

Der traditionelle Giebelschmuck für Reetdächer

Einem uralten Brauch folgend werden auch heute wieder häufig in ganz Mecklenburg-Vorpommern Giebel von Reetdächern mit gekreuzten Pferdeköpfen aus Holz verziert. Zum tatsächlichen Ursprung dieser hölzernen Rösser gibt es allerdings keine exakte wissenschaftliche Begründung. Solcher Bauschmuck zierte immerhin schon die Strohdächer der norddeutschen Bauernhäuser im 16. Jahrhundert, das lässt sich unschwer von Gemälden aus dieser Zeit ableiten. Für einen früheren Ursprung der Holzpferde fehlen jegliche Anhaltspunkte. Die ältesten, heute noch erhalten gebliebenen Giebelzierden mit gekreuzten Pferdeköpfen findet man im niedersächsischen Pattensen bei Winsen. Sie sollen aus dem Jahre 1785 stammen.

Aber welche Begründung haben die heute noch in ganz Norddeutschland verbreiteten Holzrösser? Neben dem praktischen Zweck, wonach diese verzierten Bretter das Stroh vor dem Wegrutschen bewahren, ist beim ausgeprägten Aberglauben unserer Vorfahren auch eine weitreichende mystische Bedeutung denkbar. Immerhin haben die Menschen im ländlichen Raum trotz ihres christlichen Glaubens viele heidnische Bräuche und Rituale bewahrt. Denken wir nur einmal an das „Geistervertreiben“ zu Silvester. Große Angst hatten die Menschen schon immer davor, dass ein Blitz in das Strohdach einschlagen und entflammen könnte. Könnten die Giebelpferde eine Art Abschreckung für böse Dämonen gewesen sein, oder sollten sie jemanden anlocken, die „Götter“ milde zu stimmen?

Bekanntlich jagt ja bei einem Gewitter der Germanengott „Wodan“ mit seinem Pferdegespann über den Wolken entlang. Wollten unsere Vorfahren den Donnergott mit der Abbildung seiner Pferde für sich gewinnen? Danach wäre der Giebelschmuck so eine Art religiöser Blitzableiter. Allerdings liegt die Zeit, in der die Menschen den verschiedenen Göttern vertrauten, viel länger zurück. Auf solch eine Bedeutung verweist auch Dr. Karl Baumgarten, der wie kein anderer in zahlreichen Schriften die Bautraditionen und Lebensgewohnheiten der Mecklenburger beschrieb. In seiner „Kleinen Mecklenburgischen Bauernhaus-Fibel“ heißt es dazu: „Heute betrachten wir sie (die Pferdeköpfe) als Symbol sehr alter magischer Vorstellungen, als eine Dämonenabwehr, Unglücksfälle, Seuchen und Krankheiten vom Hof fernzuhalten.“

Vielleicht wollten die damaligen Bauherren auch nur auf Art und Größe ihres Besitzes aufmerksam machen? Auch für die vielen verschiedenen Gestaltungsformen der Giebelzierden gibt es keine plausible Erklärung. Häufig sind die Pferdeköpfe voneinander abgewandt. Dies trifft vor allem im nordmecklenburgischen Raum zu. In manchen Gegenden, so in der Nähe von Schönberg, finden sich mehr einander zugewandte Pferde. Auch die Ausstattung der hölzernen Rösser mit Zaumzeug fällt unterschiedlich aus. Ob es hierfür einen besonderen Grund gibt, oder ob die Handwerker nur ihrer Phantasie freien Lauf ließen, lässt sich ebenfalls nicht feststellen.

Geblieben ist allein der Brauch, und der wird mehr denn je von den Bauherren gepflegt. Er hat die Jahrhundertwende überdauert. Zwar wird heute wohl kaum noch jemand an irgendwelche Zauberkräfte der Giebelhölzer glauben, aber ohne die gekreuzten Rösser wären Reetdächer eben nur halb so ansehnlich.